Brauchtum

Entwicklung

Das alte und neue Nikolaus-Brauchtum zeigt Brauchtumselemente im Laufe der Zeit. Eine Karte lässt die Verbreitung des Nikolaus-Brauchtums und unterschiedlicher Nikolaus-Namen erkennen:

Das älteste Nikolaus-Brauchtum stammt aus dem Mittelalter und ist älter als die Nikolaus-Verehrung: das Kinderbischofsspiel. Das vorreformatorische Brauchtum, der Wurf- oder Streuabend und das Einlegebrauchtum, verbunden mit dem Nikolaus-Schiff, werden nach der Reformation durch das Einkehrbrauchtum abgelöst. Wer weiß heute noch, dass unser Schenken zu Weihnachten vom Nikolaus-Brauchtum her stammt und dass die Nikolaus-Begleiter Höllengestalten sind?


Ludus episcopi puerorum

Das „ludus episcopi puerorum” oder Kinderbischofspiel, Knabenbischofsspiel, Schülerbischofsspiel oder - in Klöstern - Kinderabtspiel, scheint ein uralter Brauch zu sein. Bereits 867/870, auf dem Konzil von Konstantinopel, wird das festum puerorum, festum stultorum oder fêtes des fous verboten. Es ist also bereits vor dem Nikolausbrauchtum bekannt und in Gebrauch und vermischt sich dann damit. Ursprünglich wurde dieses Spiel am Tag der Unschuldigen Kinder (28. Dezember) als ein Narrenfest gefeiert, das möglicherweise in der Tradition orientalischer Narrenkönige, römischer Saturnalien und eventuell auch keltischer Tiervermummung stand. Weder das Verbot des Konzils von Konstantinopel, noch die Verbote der Konzilien von Basel oder Trient haben das „Spiel der umgekehrten Ordnung” abgeschafft. Im 11. Jahrhundert läßt sich das festum puerorum im Abendland, in Rouen, erstmals nachweisen und hält sich dort bis in das 18. Jahrhundert. Seit dem 13. Jahrhundert, mit der Popularität des Nikolaus als Schülerpatron, bürgert sich der 6. Dezember als Festauftakt ein, wobei die gesamte Feier entweder bis zum 28. Dezember dauert oder aber am 28. Dezember abschließend Feierlichkeiten stattfinden.

Das eigentliche Spiel besteht daran, daß die Schüler an Kloster-, Stift- und Domschulen, mancherorts sogar die Kleriker selbst, einen „Abt” oder „Bischof” wählten, der ein pompöses Fest und pomphafte Umzüge durchführte. Mancherorts wurde bei diesen Feiern die Liturgie nicht ausgespart: In den Kirchen fanden Feiern unter Leitung des Kinderbischofs statt. Ausgestattet war der Knabenbischof wie ein Bischof: mit Chorkleidung, Mitra und Stab. Zum Teil oder aber für eine bestimmte Zeit galt auch die Regel, daß die eigentlichen Bischöfe den Anordnungen der Knabenbischöfe zu folgen hatten. Einige Volkskundler nehmen als Auslöser von Brauchtumsformen liturgische Festtagstexte an. Unter Hinweis auf das „Magnifikat”, in dem es heißt: „...er stürzt die Mächtigen vom Thron und erhöht die Niedrigen” (vgl. Lk 1, 52; Ez 21, 31; Ps 147, 6; Hiob 5, 11;12,19), wird ein Bezug zwischen dem Knabenbischofsspiel und dem Magnifikat hergestellt. Das Magnifikat ist jedoch kein typisches Gebet für das Fest der Unschuldigen Kinder. Mit der gleichen Berechtigung ließe sich verweisen auf Mt 23, 12: „Wer sich selbst erhöht, wird erniedrigt, und wer sich selbst erniedrigt, wird erhöht werden" (vgl. Lk 14, 11; 18, 14). Es ist wahrscheinlicher, daß eines der Tagesgebete aus der Liturgie, die nur am Fest der Unschuldigen Kinder gebetet wurden, Auslöser waren. Vor der jüngsten Liturgiereform hieß es zum Beispiel im Introitus: „Aus dem Mund von Kindern und Säuglingen, o Gott, verschaffst du dir Lob Deinen Feinden zum Trotz” (Ps 8, 2). Oder in der Oratio: „Gott, am heutigen Tage haben die Unschuldigen Kinder Dein Lob verkündet, ...”.

Im Advent gab es im Mittelalter einen dem Knabenbischofsspiel vergleichbaren Brauch, daß an bestimmten Tagen die Knechte und Mägde das „Sagen” hatten und die Rolle der Herrschaft spielten, während diese die Rolle der Mägde und Knechte übernahm. Bei dieser Gelegenheit wurde ein würziger Fladenkuchen, der Lebkuchen, gebacken und verteilt. Auch Arme erhielten ihn als Geschenk.

Wurf- oder Streuabend

Als Vorläufer des Einlege- und des Einkehrbrauches wurden am Nikolausabend Äpfel, Nüsse, Gebäck und Süßigkeiten in einen Raum geworfen, in dem sich die Kinder der Familie aufhielten oder aber über Nacht Geschenke ausgelegt. Später wurden die Geschenke wohl in die Schuhe gesteckt, die Futter für den Esel des heiligen Nikolaus enthielten. Das Nikolaus-Schiffchen war ein von den Kindern gebastelter Gabenteller. Auch wurden im Haus Strümpfe zu diesem Zweck aufgehangen. Auf diese Weise wurde die Legende von den drei Jungfrauen nachgespielt, die von Nikolaus jeweils einen Goldklumpen empfingen. Für 1836 wird aus Münster berichtet, dass dort die Waisenkinder der Stadt in der früheren Nikolaiskapelle auf dem Domhof versammelt wurden; durch eine Öffnung im Gewölbe regneten Gaben auf die Kinder herab. Dieser Form des Nikolausbrauchtums entsprach in Holland der Korbschüttetag. Hier stellten die Kinder die gesammelten Äpfel, Nüsse und das Gebäck in Körben dicht neben das Feuer. Sobald die Körbe Feuer zu fangen drohten, wurden die Körbe ausgeschüttet und alle Kinder stürzten sich auf die Gaben. Die brennenden Körbe sind dabei Symbole des vergangenen Sommers, der nun unwiederbringlich „verbrannt” ist, der aber seine Früchte ausgeschüttet hat. Als Nikolaus-Schiff oder Schiffchensetzen wurde der mindestens seit dem 15. Jahrhundert bekannte Brauch genannt, aus Papier Nikolaus-Schiffchen oder Nikolaus-Schiffe zu basteln, in die der Heilige seine Gaben legen sollte.

Hintergrund für diesen Brauch dürfte das Schifferpatronat des Heiligen sein. Das Nikolaus-Schiffchen wurde später durch den Stiefel, Schuh und Strumpf und dann den Gabenteller abgelöst. Die vor allen Dingen im angelsächsischen Lebensraum verbreitete und in andere Bereiche importierte Sitte, wonach der ungesehene nächtliche Besucher Nikolaus seine Geschenke und Naschereien in Schuhe und Strümpfe steckte, empfinden manche als schlicht eklig. Nicht einmal hygienische Gesichtspunkte mögen hier primär mitspielen. Unreflektiert kann auch die empörte Grundannahme gelten, dass „größere Geschenke” in so kleinen Behältnissen doch keinen Platz finden! Der Brauch, die Gaben in ein eigenes Gefäß oder Behältnis zu legen (der Gabenteller hat in mehrfacher Hinsicht seine Nähe zu einer „Opferschale”), ist so jung wie der Besitz solcher Gerätschaften in bürgerlichen Haushalten. Der mittelalterliche Mensch besaß kaum Schüsseln, keine individuellen Essteller. Man aß „aus einer Schüssel”, verfügte vielleicht über eine Aushöhlung im Holztisch. Sollten aber nächtlich Gaben durch einen unsichtbaren Nikolaus individuell zugewiesen werden, was lag da näher als persönliche Kleidungsstücke zu benutzen, die zum Trocknen aufgehängt oder aufgestellt waren: Strümpfe und Schuhe. Hinsichtlich eines eventuellen Naserümpfens wegen jener neuzeitlichen „Erfindung” namens Hygiene konterte man nicht anders, als wie man es heute noch im Rheinland hören kann: „Nu sit doch nit esu!”, - was sich mit „Stell Dich nicht so an” nur unvollkommen übersetzen lässt. Individuelle Behältnisse für Nikolausgeschenke, ob Strümpfe, Schuhe, Nikolaus-Schiff oder Gabenteller, kennzeichnen die Nikolausbrauchtumsphase nach den Wurf- und Streuabenden, also die Zeit des Einlege- und des Einkehrbrauches.

Einlegebrauch des heiligen Nikolaus

Das heimliche Einlegen von Äpfeln, Nüssen und Süßigkeiten in der Nacht vom 5. auf Nikolaus zugeschrieben, hat selbst Martin Luther noch bis 1535 in seiner Familie praktiziert. Mit der Verlegung des Schenktermins auf Weihnachten fiel der Brauch jedoch in den meisten protestantischen Regionen fort oder übertrug sich auf Weihnachten und das Christkind. Der Einlegebrauch scheint sich im Abendland mit der Schülerlegende entwickelt zu haben und parallel zum ludus episcopi puerorum aufzutreten. Das „Einlegen” der Gaben ist wohl abgeleitet von dem legendären „Einlegen” der Goldklumpen in das Haus der drei Mädchen. Das durch den Kamin eingeworfene/eingelegte Gold hat sich nach alter Tradition in den am Kamin zum Trocknen aufgehängten Strümpfen der Mädchen verfangen. Im angelsächsischen Einflussbereich sind deshalb Strümpfe oder Schuhe – schlaue Kinder verwenden auch deshalb voluminösere Stiefel – gängige „Empfangsbehälter”. In katholischen Regionen wurde im 17. Jahrhundert der Einlegebrauch durch den Einkehrbrauch abgelöst.

Einkehrbrauch des heiligen Nikolaus

Nachdem das Nikolausfest durch die Reformation als Kinderbeschenktag obsolet geworden war, reagierte die Gegenreformation, indem sie dem Fest ein katechetisch-pädagogisches Gepräge gab. Nikolaus und Gefolge kehrte in jedes Haus mit Kindern ein und examinierten diese. Abgefragt wurde, ob die Kinder ihre Gebete verrichtet hatten und den Anordnungen der Eltern gefolgt waren. Die Guten wurden belohnt und die Säumigen verwarnt. Nicht zu verkennen ist, dass hier im Brauchtum die kirchenrechtlich vorgeschriebene Visitation des Bischofs in einer Pfarrgemeinde zum Vorbild des Einkehrbrauchs wurde. Das „Gericht”, das Nikolaus abhielt, spiegelt das Weltgericht Gottes in der Ewigkeit wider. Ausgelöst bzw. verankert kann der Einkehrbrauch in der Epistel des Nikolaustages sein, in der - vor der Liturgiereform - auf die Richtschnur des heiligen Nikolaus verwiesen wurde, zwischen Gut und Böse zu unterscheiden: „Gedenket eurer Vorsteher, die euch das Wort Gottes verkündet haben! Schauet auf den Ausgang ihres Lebens und ahmet ihren Glauben nach” (Hebr 13, 17). Das Evangelium vom Nikolaustag war das Gleichnis von den Talenten (Mt 25, 14 - 23). Wie im Gleichnis der Herr Rechenschaft von seinen Knechten fordert, fragte der als heiliger Nikolaus einkehrende Erwachsene die Kinder das gelernte Glaubenswissen ab und belohnte die Fleißigen und strafte die Faulen („gegenreformatorische Adventspädagogik”, Werner Mezger).

Der Einkehrbrauch hat durch die vielfach komödienhafte Inszenierung und die Ausnutzung als „Angstmacher” gelitten. Dennoch hat sich der Einkehrbrauch nicht überlebt, vielerorts wird er noch inszeniert. Auch heute noch kann man den Einkehrbrauch verantwortlich inszenieren, wenn man mit dem Brauch keine Angst auslöst und die Kinder die Güte des Heiligen erleben lässt. Gemäß pädagogischer Erkenntnisse sollte das Gute verstärkt und das Nicht-so-Gute negiert werden. Es empfiehlt sich eine den Kindern bekannte Person als „Nikolaus” einzusetzen oder aber wenigstens die Verkleidung vor Kindern im Kindergartenalter selbst durchzuführen. Knecht Ruprecht darf nicht als Angstmacher bedrohlich werden. Ein Sack, in den Kinder gesteckt werden (könnten), hat mit dem Heiligen nichts zu tun.

Beim Einkehrbrauch de heiligen Nikolaus übernimmt der heilige Nikolaus die Rolle eines gütigen Richters, der aus katechetischen Gründen lobt oder straft. Seinen Wissensschatz bezieht er aus dem „Goldenen Buch” (mancherorts hat sich das Buch bereits dualisiert zu einem „Goldenen” und einem „Schwarzen Buch”). Die Idee himmlischer, von Gott oder den Göttern geführter Bücher ist eine orientalische Tradition. Der ägyptische Götterhimmel hatte in Thot, der babylonische in Nabo eigene Schreibergötter. Die Heilige Schrift kennt Bücher gleich in fünffacher Bedeutung: Wenn vom „Buch des Lebens” die Rede ist, wird es beim „göttlichen Gericht” aufgeschlagen. Es enthält das vorgezeichnete Lebensschicksal. Daneben spricht die Schrift von einem versiegelten Buch der „göttlichen Ratschlüsse”. Die Propheten erhalten ihre „Offenbarungen” ebenfalls unter dem Bild eines Buches. Thomas von Aquin setzte das „Buch des Lebens” konsequenterweise gleich mit „Auserwählung” (Summa theol. I, Quaest. 24, Art. 1). In der Offenbarung des Johannes ist in der Gerichtsszene noch von anderen Büchern als nur dem „Buch des Lebens” die Rede: „Die Toten werden nach ihren Werken gerichtet, wie es in den Büchern aufgezeichnet war” (Offb 20, 12; vgl. Dan 7, 10).

Das biblische Symbol des Buches für die Allwissenheit Gottes, der die Menschen nach ihrem Tun individuell richtet, wurde volkstümlich zu einem realen Buch (resp. zwei Büchern), in dem gute und schlechte Taten fein säuberlich verzeichnet sind. Das reale Gericht erfolgt aber nicht erst am Lebensende, sondern - aus didaktisch leicht erkennbaren Gründen - jährlich am Nikolaustag. Auch unsere Altvorderen kannten schon die psychologische Regel von den positiven Verstärkung, auch wenn sie den einen oder anderen Begriff noch nie gehört hatten. Dass aus der religionspädagogisch sinnvollen Absicht, durch Lob zu bestätigen und durch milde Strafe vom bösen Weg abzubringen, mit der Zeit ein den Kindern oft angstmachendes Spektakel zur Belustigung Erwachsener wurde, lag nicht im Interesse der Erfinder. Vielleicht liegt auch eine der Schwierigkeiten, die wir heute mit diesem Brauch haben, darin begründet, dass unser Verhältnis zur Schuld weniger eindeutig und die Verhältnisse schwieriger geworden sind, als dass sie sich einfach nur den Kategorien „gut” und „böse” zuordnen ließen.

Schenken

Während heutzutage das Schenken fast so etwas wie eine Pflicht, Statusverteidigung oder Selbstdarstellung zu sein scheint, hatte das Schenken früher - wenigstens im Ansatz - Symbolcharakter: Den Armen schenkte man existentiell Notwendiges und - damit sie mitfeiern konnten - etwas zum Essen und Trinken. Der Kreis der Armen, für den oft vor dem eigentlichen Fest gesammelt wurde (Christkindl einläuten), wurde ab der Reformation um die Kinder erweitert, deren Kinderbeschenktag zu Nikolaus damit entfallen sollte. Bis zur Reformation schenkten Erwachsene sich untereinander nichts, außer daß der Dienstherr verpflichtet war, seinen Dienstboten eine Kleinigkeit zu schenken. Das Beschenken der Erwachsenen untereinander begann erst mit dem Verständnis von Weihnachten als Familienfest. Als „nordeutsch-protestantische Sitte” wird der Gabentisch am Heiligabend in einer bayerischen Chronik von 1860 bezeichnet, „welche nur in München, seit den Tagen der Königin Caroline eingeführt, in den höheren Ständen festen Fuß gewonnen hat”. Geschenke waren dabei manchmal symbolisch gemeint (Julklapp), aber immer etwas, was über die „Grundversorgung” mit Notwendigem hinausging, ein „superadditum”: ein Buch, Süßigkeiten oder Spiele. Das Geschenk sollte die Freude vermitteln, die der Festtag bot, der ein Ereignis der „Übernatur” (= supernaturalitas) feierte. Der qualitative, tiefergehende Sinn der Geschenke stand früher stärker vor Augen. Dabei leitet sich das Schenken von der Jungfrauenlegende des heiligen Nikolaus ab: Der heilige Nikolaus schenkt heimlich und unerkannt. Er gibt aus seinem Privatvermögen, um den Mädchen die ewige Seligkeit zu erhalten. Schenken im christlichen Sinn will also ein Ausblick auf den Himmel sein, das Paradies schon auf Erden ein wenig vorkosten lassen.

Kinderbeschenktag war im frühen Mittelalter das Fest der Unschuldigen Kinder (28. Dezember). In dem Maße, wie der heilige Nikolaus populär und Patron der Schüler und Kinder wurde, verlagerte sich im 13. Jahrhundert der Kinderbeschenktag für Jungen auf den Festtag des heiligen Nikolaus (6. Dezember). Im 14. Jahrhundert ist der 6. Dezember als Geschenktermin allgemein üblich. Mancherorts scheint parallel das Fest der heiligen Lucia (13. Dezember) zum Kinderbeschenktag für die Mädchen geworden zu sein. Um 1500 war Weihnachten als Schenktermin oder Kinderfest unbekannt. Die Reformation hat sowohl den heiligen Nikolaus als Geschenkebringer als natürlich auch den 6. Dezember als Termin bekämpft. Heilige als Mittler göttlicher Gnade waren nach reformatorischer Lehre überflüssig. Neuer Schenktermin - zunächst in protestantischen Gegenden, nach 1900 allmählich in ganz Deutschland flächendeckend - wurde Weihnachten. (In Neuss am Rhein und in weiten Teilen des Rheinlandes wird um 1900 noch am Nikolaustag beschert). Geschenkebringer wurde die von Martin Luther propagierte Kunstfigur „Christkind”, die es aber als Nikolaus-Begleiter oder als Gabenbringer schon vorher gab. In den protestantischen Ländern ließ sich dieser Wandel nicht überall durchsetzen: Die Niederlanden hielten am alten Schenktermin und am heiligen Nikolaus fest. Im Laufe der Entwicklung mutierte „das Christkind” zum „Weihnachtsmann”, der wiederum zum Teil Wesensmerkmale und den Namen des heiligen Nikolaus übernahm. In Nordamerika heißt der „Father Christmas” mit Namen „Santa Claus”. Um 1930 hatte sich schließlich in Nordwest- und Südwestdeutschland „das Christkind”, in den anderen Landesteilen der „Weihnachtsmann” als Gabenbringer durchgesetzt.

Nikolaus-Schiff

„Schiffchensetzen” wurde der mindestens seit dem 15. Jahrhundert bekannte Brauch genannt, aus Papier „Nikolaus-Schiffchen” oder „Nikolaus-Schiffe” zu basteln, in die der Heilige seine Gaben legen sollte. Hintergrund für diesen Brauch dürfte das Schifferpatronat des Heiligen sein, vielleicht aber auch die Sinnbildlichkeit des Schiffchens für die Kirche, die sich aufdem Weg zum Endhafen, dem Himmel, befindet. Das Nikolaus-Schiffchen wurde später durch den Stiefel, Schuh und Strumpf und dann den Gabenteller abgelöst.

Nikolaus-Begleiter

Beim Einkehrbrauch wird der heilige Nikolaus nahezu immer von einer Figur begleitet, die als gezähmter Teufel oder „dienstverpflichteter” Höllengeist deutbar ist: oft ein in Ketten gelegter, geschwärzter Poltergeist, zu dessen Ausrüstung meist Rute und Sack oder Kiepe gehören. Bei der Inszenierung übernimmt diese Figur die Präsenz des Bösen, die jedoch Böses und Böse straft, aber sich fest in der Gewalt des Guten (= Hl. Nikolaus) befindet. Die Namen für diese Figur variieren. Relativ verbreitet ist der Name Knecht Ruprecht, rauer Knecht Ruprecht oder rauer Percht. Der letzte Begriff verweist einerseits auf den Teufel und andererseits auf die Entstehung des Namens Ruprecht. Teuflische Begriffe sind auch Düvel oder Bock oder der biblische Begriff Beelzebub. Namen wie zum Beispiel Böser Klaus zeigen die Auflösung und kontraproduktive Inszenierung der Heiligenlegende. Andere Figuren sind mittelalterliche Allegorien, die menschliche Laster verkörpern, Bären, Esel, Böcke und die raue Perchta, die als domina perchta Hoffart, Völlerei und Unzucht verkörpert.

Bezeichnungen für die Figuren sind: Knecht Ruprecht (im gesamten deutschsprachigen Raum), Ascheklas, Bullerklas, Klas Bur (Westfalen, Norddeutschland), Zwarter Piet, Pietermann, Swarte Piet (Niederlande), Pulterklas (Diethmarschen) Ruklas, Rupsack (Mecklenburg) Hans Muff (= der muffige Hans), Heiliger Mann, Düvel, Zink Muff, Zink Knatsch (Niederrhein), Belzebub, Pelzebock (Eifel und Mosel), Pelzebub (Baden), Pelznickel (Pfalz und Saar), Butz (Schwaben), Rumpelklas (Allgäu), Schmutzli, Düsseli (Schweiz), Semper, Klaubauf (Bayern), Krampus (Österreich), Schiachtperchten (Salzburger Land), Partl, Bartl (Kärnten, Steiermark), Leutfresser (Ostalpen), Père Fouttard (Frankreich), Hans Trapp (Pfalz), Biggesel, Böser Klaus, Einspeiber, Gangerln, Kläuse, Klosen, Busebrecht, Buzebercht, Kehraus, Klausmänneken, Klausenpicker, Klombsack, Spitzbartl, schwarz Käsperchen, Rollebuwe, Battenmänner, Bullkater, Dollochs, Erbsbär. Im Gurktal, Österreich, taucht der Nikolo mit dem Spitzbartel auf, der in schwarzer Maske mit Kuhglocke und einer Bucklkraxn (= Kiepe) erscheint. Die Buttmandeln, Treichler und peitschenschwingenden Geißelchlöpfer treiben in den Alpen ihre rauen Späße.

Eine andere Interpretation will den heiligen Nikolaus in seiner Rolle als Schifferheiliger als christlichen Poseidon verstehen, als „Nachfolger” des griechischen Meeresgottes Poseidon (röm.: Neptun). Als „Meeresgott der Christen” habe Nikolaus ein Begleiter zugestanden, wie ihn Poseidon in seinem als Menschenschreck agierenden Sohn Triton gehabt habe. Knecht Ruprecht, der gezähmte Teufel, stehe in der Tradition des Triton. Eine weitere Auslegung sieht im Einkehrbrauch die christliche Einvernahme eines germanischen Wotankultes. Die neuere Forschung sieht alle Schreckensgestalten aus dem Reich des Bösen der civitas diaboli entstiegen und erklärt damit ihr Vorhandensein ohne Rückgriffe auf germanisches Brauchtum.

Knecht Ruprecht alias Hans Muff alias ...zeichnet sich nicht nur durch seine Bösartigkeit, Schwärze und - als Prügel- statt Segnungsinstrument missverstandene - Rute als Teufel aus. Die Kinder fürchten sich noch viel mehr vor dem Sack, der, je nach Landschaft auch eine Kiepe sein kann. In diesem Sack schleppt der Schwarze nicht nur murrend die Geschenke des Heiligen heran. Sprichwörtlich darf er auch die „in den Sack stecken”, die nach Auffassung des heiligen Nikolaus ihre religiösen und häuslichen Pflichten nicht erfüllt haben. Sack oder Kiepe werden hier zum Höllenschlund, in den nach mittelalterlicher Auffassung fiel, wer vor Gottes Gericht keine Gnade fand. Wer beim Nikolaus-Besuch durchfiel, einem „Weltgericht im Kleinen für Kleine”, der landete eben symbolisch im Sack. Diese brachial-pädagogische Methode von zweifelhafter, dafür aber derb-deutlicher „Güte” hat ein Vorbild im mittelalterlichen Seelenfresser, der die dem Satan verfallenen Seelen fraß, ein anderes Vorbild in einer Form des Ringkampfes, bei dem der Gegner in den Sack gesteckt werden musste. Die Kinderfresser im Nikolaus-Brauchtum im süddeutschen Raum, wo der Bezug zum Heiligen selbst und seiner Legende immer undeutlicher geworden ist, üben ihre Faszination durch Bedrohung, Abtransport des Angegriffenen und Loskaufriten aus. Für unbetroffene Betrachter ist das ganze ein voyeristisches Schauspiel. Die Kindlifresser, Kinderfresser, heute im Süddeutschen ein gepflegtes folkloristisches Phänomen, haben es im 16. Jahrhundert bereits zu Denkmalehren gebracht, zum Beispiel am Berner Kindlifresser-Brunnen (1544). 1663 definiert sich ein Kinderfresser: „Ich bin der alte böse Mann, der alle Kinder fressen kann”.