
Alles, was auf Erden kreucht und fleucht, hat daran teil. Alles ist, genauer gesagt, diesem Werdensprozeß des Universums entsprungen. Auch unsere Existenz wurde schon in den ersten Minuten nach dem Weltanfang vorbereitet. Es ist also lediglich ein auf der Unkenntnis dieser erst kürzlich entdeckten Zusammenhänge beruhendes Mißverständnis gewesen, das die Menschen in den letzten vier Jahrhunderten – seit der »kopernikanischen Wende« – der niederschmetternden Ansicht auslieferte, sie trieben auf ihrer winzigen Erde wie auf einem verlorenen Staubkorn beziehungslos durch die leere Wüste eines Weltalls, in dem sie Fremdlinge seien.
Noch 1970 schrieb der französische Biologe Jacques Monod, es sei an der Zeit, daß die Menschheit endlich aus ihrem tausendjährigen Traum erwache und sich der Erkenntnis ihrer totalen Verlassenheit und radikalen Fremdheit in einem Universum stelle, das für unsere Musik taub sei und gleichgültig gegen unsere Hoffnungen, Leiden oder Verbrechen. Es sei nichts als Wunschdenken, wenn wir unsere Existenz in dieser Welt für notwendig hielten. »Alle Religionen, fast alle Philosophien und zum Teil sogar die Wissenschaft zeugen von der unermüdlichen heroischen Anstrengung der Menschheit, verzweifelt ihre eigene Zufälligkeit zu verleugnen.« An anderer Stelle: »Das Universum trug weder das Leben, noch trug die Biosphäre den Menschen in sich. Unsere Losnummer kam beim Glücksspiel heraus.« Und, weil ihm das immer noch nicht genügte, am Schluß des Buches nochmals: »Der Alte Bund ist zerbrochen; der Mensch weiß endlich, daß er in der teilnahmslosen Unermeßlichkeit des Universums allein ist, aus dem er zufällig hervortrat.«
Das sind niederschmetternde, im Tone endgültiger Wahrheiten formulierte Statements, deren Pathos die sich hinter ihnen verbergende Resignation nur notdürftig verhüllt. Aus ihnen spricht die prätentiös heroische, nichts erhoffende und auf den bloßen Verdacht von Wunschdenken mit geradezu panischer Ablehnung reagierende Attitüde des Existentialismus, speziell jener Variante dieser philosophischen Richtung, die in den Kreisen französischer Intellektueller in den ersten Nachkriegsjahrzehnten en vogue war.
Aber schon der zweite Blick läßt, heute jedenfalls, erkennen, daß hier nicht letztgültige Wahrheiten unerschrocken formuliert werden, sondern ideologisch präjudizierte Bekenntnisse. Denn in den Jahren, in denen Monod sein vielbeachtetes philosophisches Glaubensbekenntnis schrieb, waren die ersten Entdeckungen der Astrophysiker schon publiziert worden, die auf das inzwischen »anthrophisches Prinzip« getaufte kosmogonische Phänomen erstmals hinwiesen: auf den allerdings ganz und gar unvorhergesehenen und höchst erstaunlichen Tatbestand, daß das Universum eben doch »das Leben in sich getragen« hat, von allem Anfang an. Daß es mit – scheinbar willkürlichen – Naturkonstanten und Naturgesetzen antrat, die es zu einem für alles Leben förmlich maßgeschneiderten Universum machten, als »ob es gewußt hätte, daß es uns geben würde«. Befangen in seiner existentialistischen Weltanschauung, hat der geniale Franzose diese Publikationen ganz offensichtlich nicht zur Kenntnis genommen. Ein eindrucksvolles Beispiel ideologischer Voreingenommenheit, vor der auch ein Nobelpreisträger nicht gefeit ist.
Noch eine zweite Lehre läßt sich aus dem Fall ziehen. Monod hat es, wie die Zitate belegen, für selbstverständlich gehalten, daß eine Vermutung als widerlegt gelten könne, wenn ihr Gegenstand einer Wunschvorstellung entspreche. Das Ausmaß der »Verzweiflung«, mit dem die Menschheit sich seit je bemüht habe, die Zufälligkeit ihrer eigenen Existenz »zu verleugnen« (und an der man nicht gut wird zweifeln können), gilt ihm in einer Art reziproker Korrelation als Maß gerade der Wahrscheinlichkeit ebendieser Zufälligkeit (die für ihn in diesem Zusammenhang mit »Sinnlosigkeit« synonym ist). Das aber ist ein logischer Kurzschluß, der in der geistesgeschichtlich-kulturellen Diskussion in unterschiedlichstem Zusammenhang auftaucht und dann mit unschöner Regelmäßigkeit Verwirrung in den Köpfen stiftet.
Eine als geradezu »klassisch« anzusehende Rolle spielt das Argument »Erwünscht und folglich auszuschließen« seit je in der atheistischen Religionskritik. Nicht wenige im Lager der Agnostiker halten es für ausreichend, den Glauben an einen Gott als »Wunschvorstellung« überführen zu können, um die Nichtexistenz Gottes für erwiesen zu halten. Dieser (scheinbar logische) Schluß bildet den Kern des von dem Hegelschüler Ludwig Feuerbach begründeten modernen, sich wissenschaftlich verstehenden Atheismus. Und auch Sigmund Freud erklärte den Gottesglauben bekanntlich als Ausdruck einer »infantilen Wunschprojektion«, mit deren Hilfe der Mensch sich (unbewußt natürlich) das Gefühl metaphysischer Geborgenheit verschaffe – und hielt den Fall damit für erledigt.
In Wirklichkeit stellt das Argument einen unhaltbaren logischen Purzelbaum dar. Es mag zwar unwiderlegbar sein, daß der Mensch sich wünscht, es gebe einen Gott. Und Sigmund Freud dürfte mit seiner psychologischen Erklärung den Nagel auf den Kopf getroffen haben. Sicher richtig ist auch, daß ein Wunsch in diesem wie in jedem anderen Fall die Wahrscheinlichkeit einer Annahme nicht vergrößert. (Unser Wunsch, daß es Gott geben möge, ist kein Indiz für seine Existenz.) Logisch unhaltbar ist hier aber – wie meist – der Umkehrschluß: Weil wir uns einen Gott wünschten, sei davon auszugehen, daß es ihn nicht gebe. Deshalb ist die Aussage: »Gott ist eine Wunschvorstellung« richtig, die Aussage jedoch: »Gott ist nichts als eine Wunschvorstellung« eine bloße Behauptung, die, bevor sie als feststehend anerkannt werden könnte, ebenso erst noch bewiesen werden müßte wie ihr Gegenteil freilich auch.
Jacques Monod hat mit seiner auf ebendieses Argument gestützten Behauptung von der Beziehungslosigkeit zwischen Weltall und Leben Schiffbruch erlitten. Er hätte ja auch recht haben können. Er hatte es nicht. Die Dinge lagen, wie sich rasch erwies, umgekehrt: Nachweislich bestehen zwischen unserer Existenz und der Natur des Kosmos Zusammenhänge von genau der Art, wie der Mensch sie sich seit den Anfängen seiner Geschichte vorgestellt und erhofft hatte. Wir existieren nicht als bloße Zufallsprodukte in einem leeren, lebensfeindlichen All ohne Zusammenhang mit dem Ganzen und seiner in einem kosmischen Rahmen ablaufenden Geschichte. Dies ist unser Weltall, in einem wahrhaft existentiellen Sinn. Es hat uns hervorgebracht, und es erhält uns durch die Besonderheiten seiner Struktur am Leben.
(wird weiter entwickelt)
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