
Die Hoffnung stirbt zuletzt, heißt es, aber besser wäre es, sie bliebe quicklebendig. Was sonst soll denn in diesen grauen Wintertagen Zuversicht spenden als die Aussicht auf eine Nadel im Oberarm, die uns vom Dauerschlamassel erlöst? Die Bundesregierung hat die Hoffnung auf ein baldiges Ende der Plage lange genährt, doch nun klingen die Sätze ihrer Vertreter plötzlich vage, leise, mutlos. Wer sich im Berliner Regierungsviertel umhört, kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Strategen den Überblick über die Lage an der Impffront verlieren. Wie viele Dosen können von welchen Herstellern bis wann an welche Bundesländer geliefert werden? Unklar. Welche anderen Pharmafirmen können helfen, die Impfstoffe der Hersteller zu produzieren? Unklar. Wer kann den föderalen Wirrwarr aus 16 verschiedenen Impf-Abläufen lichten, wieso organisieren das überhaupt die Bundesländer statt der Bund, und warum gibt es keine zentrale Website, auf der jeder Bürger einen Termin beantragen und transparent erfahren kann, wann er bitteschön drankommt? Unklar, unklar, unklar.
Wer unter 60 ist, wird eh noch lange warten müssen. Aber auch viele impfberechtigte Senioren aus den Risikogruppen scheitern am föderalen Tohuwabohu. In welches Labyrinth man da gerät, schildert mir eine Tagesanbruch-Leserin: "Es hieß, ab 8 Uhr könne man sich unter der Nummer 116117 für das Impfen anmelden. Ich habe es ab Punkt acht im Minutentakt versucht, kam aber nicht durch. Irgendwann meldete sich ein Herr, der mir riet, lieber später anzurufen, da sei die Leitung nicht mehr überlaufen. Ich versuchte es trotzdem weiter. Dreieinhalb Stunden später hatte ich eine Dame dran, die mir mitteilte, die Impfdosen seien nun alle weg. Im Internet versuchte ich es noch mal – alles für die Katz. Eigentlich war ich dem Impfen gegenüber sehr positiv eingestellt und habe auch meine Freunde und Bekannten ermuntert. Aber nun das! Sollen wir alle den Mut verlieren?"
Seit dem Ausbruch der Seuche haben wir vieles erduldet, wir üben uns in Geduld und Disziplin, haben Nachsicht mit den Verantwortungsträgern, aber wer wie diese Leserin von der Impfkampagne enttäuscht ist, den kann ich verstehen. Der Frust wäre kleiner, hätten die Entscheider in Berlin und Brüssel nicht so große Hoffnungen geschürt, hätten sie transparent kommuniziert und auch mal eingestanden, dass in ihrem Krisenmanagement einiges überhaupt nicht rund läuft, statt Pannen wortreich schönzureden.
Warum gelingt es dem mächtigsten Staatenbund und dem viertgrößten Industrieland der Welt nicht, die Massenimpfung ebenso schnell und stringent zu organisieren wie den Behörden in Israel, Großbritannien, den USA? Warum gibt es in Berlin keinen zentralen Verantwortlichen für die Impfkampagne, der sich Tag und Nacht um nichts, aber auch wirklich gar nichts anderes kümmert? Gesundheitsminister Jens Spahn, der hauptberuflich an seiner Karriere in der CDU werkelt, kann das wohl kaum sein. Auch die Kanzlerin und ihr Kanzleramtsminister haben mindestens noch 23 weitere Baustellen zu beackern. Und die Ministerpräsidenten haben bekanntlich alle ihre eigene Agenda. Was es jetzt aber doch dringend braucht, sind Führung und Koordination.
Das hat auch die Bundesregierung bemerkt. Gestern liefen im Regierungsviertel hektische Vorbereitungen für einen Impfgipfel, zu dem am Montag Vertreter von Bund, Ländern und Pharmafirmen zusammenkommen sollen, um… ja was? Nun ja, um zu reden. Nämlich "über die Lage, die Ziele, das weitere Vorgehen, auch damit Europa seinen fairen Anteil erhält", wie es der Gesundheitsminister auf Twitter verkündete. Das klingt hinreichend bedeutungsschwer, um den Krisenmanager in besseres Licht zu rücken, und gleichzeitig vage genug, um für den Fall vorzubeugen, dass bei dem Gipfel herauskommt, was wir bereits ahnen: Es wird irgendwie alles noch länger dauern, und Genaues weiß man nicht.
Es ist diese mangelnde Stringenz, die das deutsche Corona-Management im internationalen Vergleich ins Mittelfeld verweist: Eine gestern veröffentlichte Studie sieht die Bundesrepublik nur auf Platz 55 von 98 Ländern. "Einige Länder haben die Pandemie besser gehandhabt als andere – aber die meisten Länder übertrafen sich gegenseitig nur durch ihre unzureichende Leistung", lautet das nüchterne Fazit der Forscher. Damit meinen sie auch uns. Ja, Deutschland ist vergleichsweise gut durch die erste Phase der Pandemie gekommen. Und ja, Deutschland profitiert bei allen Tücken von der EU; "Egoismus wird nicht helfen", schreibt unsere Kolumnistin Lamya Kaddor zurecht. Doch in diesem grauen Winter haben wir die Lage immer weniger im Griff. Vielleicht ist es das föderale Kompetenzgerangel, vielleicht sind es Bürokratie und mangelnde Führungsstärke, vielleicht sind die Regierenden auch einfach nur genauso erschöpft wie wir alle. Vielleicht ist es von allem ein bisschen. Jedenfalls ist das Ergebnis nicht gut. Und riskant. Für Sie, für mich, für unsere Lieben. Noch mehr Tote, noch viel mehr Covid-Kranke, noch längeren Lockdown, noch mehr Pleiten, noch mehr soziales Leid können wir uns nicht erlauben. Also macht meinethalben einen Gipfel, liebe Ämterträger in Bund und Ländern, aber dann nutzt ihn auch, um endlich Klarheit zu schaffen!
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So will auch ich versuchen, hier etwas Klarheit zu schaffen und mit zwei derzeit sehr verbreiteten Irrtümern aufräumen:
a) Pupsen ist Umluft und kein Lüften!
b) Bier in Dosen ist kein Impfmittel!
(Obwohl bei ausreichend großer Menge ist einem dann CORONA wenigstens egal..)
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Ronald (Donnerstag, 04 Februar 2021 18:12)
Viele dieser Gedanken zur derzeitigen Pandemiebewältigung kann ich nachvollziehen.
Der Einsatz aller Bundes-und Landesverantwortlichen lässt im Moment Zweifel aufkommen.
Das förderale System ist z.Zt. gegenüber einer Zentralregierung stark unterlegen. Hinzu kommt
die Inkompetenz vieler Beamten die im Gegensatz zur freien Wirtschaft nicht zur Rechenschaft
gezogen werden.
Der Rückblick auf den Pandemie-Beginn zeigt aber, dass Berlin handlungsfähig sein kann, wenn auf
eine noch nie dagewesene Situation reagiert werden muss. Die Maxime ,vom deutschen Volk
körperlichen Schaden abzuwenden ist gegenüber der psychischen Unversehrheit bis jetzt leider
zu kurz gekommen. Ob am Anfang erkennbar wissen nur die Fachleute.
Vorrangig war das Bemühen den Staat, die Medizin und die Wirtschaft am Laufen zu halten,
denn woher sollen denn die Milliardenhilfen kommen. Dass die Auszahlung teilweise hapert liegt
auch an geänderten Modalitäten wegen der massiven skrupellosen Betrüger- Abschöpfungen zu
Beginn.
Die nicht nur für Berufstätige sondern auch für Rentner wie mich erlassenen Vorschriften und Verbote, verdanken wir den wenigen Egoisten die alles machen was nicht ausdrücklich verboten wird,
und das auf Kosten der Vernünftigen.
Das Desaster bei der Impfstoffbestellung liegt zum einen an den stark differierenden Ansprüchen der
EU-Staaten und zum anderen an anfänglich ungeklärten Haftungsfragen der Hersteller, was in USA und GB keine Rolle spielte.Israel hat bei nur 10 Mio Einwohnern vielmehr bezahlt. Jedoch die EU ist leider ein schwerer Tanker und keine Yacht.
In Zukunft (auch ohne Corona) bleibt nur die Chance des Dialogs und Zuhörens (*) zwischen allen Gesellschaftsteilen und in einer Demokratie auch das Akzeptieren einer gegensätzlichen Meinung die mal nicht die eigene sein könnte. *) z.B. Videoder TV-Redakteurin
Die aktuellen Inzidenzzahlen lassen hoffen.