Denk ich an Corona in der Nacht bin ich um den Schlaf gebracht: Die Zwei-Masken-Gesellschaft

 

Selten war die Ungleichbehandlung im medizinischen Schutz offensichtlicher: Menschen mit wenig Geld können sich verlässliche Masken kaum leisten. Der Staat sollte sie kostenlos ausgeben – oder die Hilfssätze erhöhen.

 

 Bremen! Danke! Der Senat hat vor, alle Bremer kostenfrei mit FFP2-Masken auszustatten.

 

Bitte genau so! Bitte für alle Bundesländer. Denn der gegenwärtige »Mask-have«, die Maskenpflicht, die FFP2-Masken in Bayern und die medizinischen Masken in den anderen Bundesländern, diskriminieren in ihrer aktuellen Form Menschen aus einkommensschwachen Verhältnissen. Ich verstehe es wirklich nicht: Die Bundesregierung kann doch nicht eine medizinische Requisite verpflichtend machen, ohne dabei zu gewährleisten, dass es sich auch alle leisten können, diese Pflicht zu erfüllen.

 

Das ist, unabhängig davon, wie viel oder wenig ein Bürger nun aufbringen muss, erst mal ein grundsätzliches Problem politischen Anstandes und der Anerkennung sozioökonomischer Realitäten in Deutschland. Es gibt bei einer Umsetzung einer Maskenpflicht, die nicht aus komplett menschenfeindlicher Borniertheit heraus einen Teil der Bevölkerung aufgrund ihrer Einkommenssituation komplett ausschließen will, doch nur zwei Möglichkeiten: Entweder man stellt FFP2-Masken und/oder medizinische Masken kostenfrei zur Verfügung, um einkommensschwache Haushalte zu entlasten (ja!), oder man erhöht die Hartz-IV-Sätze, so wie es auch Sozialverbände fordern (auch ja!).

 

Noch ist es so, dass sich Hartz-IV-Empfänger das Geld für die verpflichtenden Masken von ihrem krösushaften Regelsatz von 446 Euro abzweigen müssen. Für Gesundheitspflege sind 17,02 Euro vorgesehen, davon gehen Medikamente, aber auch Hygieneartikel ab. Man darf also offenbar zwischen der Würde der eigenen Körperpflege und dem Schutz vor dem Infektionsgeschehen wählen. Und in Anbetracht einer astronomischen Unterstützung für Lufthansa klingt ein Satz von Söder, dass Bürger »auch selbst einen Beitrag leisten können in diesem Bereich« unfassbar zynisch. Merke: Seien Sie in Deutschland lieber ein Flugzeug, vor allem während einer Pandemie.

 

Wie der Journalist Tilo Jung auf der gestrigen Bundespressekonferenz erfragte, will das SPD-geführte Bundesministerium für Arbeit und Soziales »den Hartz-IV-Regelsatz nicht anpassen oder den Armen anders helfen, damit sie sich die Masken leisten können«.

 

Und bevor mir jetzt alle günstigen Zulieferer von Masken in die Kommentare stenografieren und wir in die spannende Welt der Stückpreiscentberechnung kommen: Selbst wenn in einem Ankauf größerer Stückzahlen die Masken im Einzelnen vermeintlich gar nicht mehr so teuer sein sollen, bedenken Sie bitte, dass man, um von diesen günstigen Preisen zu profitieren, dennoch eine größere Stückzahl auf einmal erwerben muss.

 

Bei OP-Masken im Zehnerpack kommt man auf 50 Cent pro Stück, wenn man Glück hat. Das wären fünf Euro auf einmal. Das ist nach Hartz-IV-Beitragsbemessung Essen für einen Tag. Größere Packungen mit dadurch günstigeren Masken kommen budgetär gar nicht erst infrage. Wir schaffen hier eine Situation, in der eine arme Person zu arm ist, um es sich leisten zu können, durch den Kauf von mehr Masken auf einmal sparsam sein zu dürfen.

 

Die in Bayern erforderlichen FFP2-Masken sind ungleich teurer. Nachdem die FFP2-Masken in Bayern zur Pflicht wurden, konnte ich in Echtzeit dabei zuschauen, wie die Preise im Internet wie Amazon-Aktienkurse stiegen. Beide Maskenformen sind Einwegprodukte, die trotz Backofen oder selbst gebasteltem Maskenkalender regelmäßig nachgekauft werden müssen, gerade und ganz besonders die OP-Masken.

 

Es ist auch erstaunlich, dass der Gesundheitsminister an dieser Stelle nicht von seiner Möglichkeit Gebrauch gemacht hat, den Preis für die Masken festzusetzen. Dadurch wurde der deutsche Maskenmarkt für den Endverbraucher zu einem Selbstschutzcasino. Genau aus diesem Grund fordert der Deutsche Hausärzteverband ebenfalls Festpreise für die Masken.

 

Im Zweifel werden also aufgrund von Nichtbezahlbarkeit oder Unverfügbarkeit Masken wiederverwendet oder ihre Halbwertzeit so gut es geht durch Backen, Trocknen und Aushängung verlängert. Es bleiben eine kalte Regierung und Masken, die ihren Zweck nicht mehr richtig erfüllen und arme Menschen dem Infektionsrisiko noch mehr aussetzen.

 

Wie man auch die Kügelchen auf diesem existenziellen Abakus hin- und herschiebt: Eine Person ohne Ressourcen wird so oder so dafür bestraft, keine Ressourcen zu haben.

 

Selten war eine Ungleichbehandlung im medizinischen Schutz performativ offensichtlicher – vor allem, weil Söder kurz zuvor die FFP2-Maske für Bayern zur Pflicht gemacht hatte. Spahns Verlautbarung ist die Verbalisierung einer medizinischen Zwei-Masken-Gesellschaft.

 

Und ja, 2,5 Millionen sind in Bayern für Hilfsbedürftige vorgesehen, und ja, es gibt Gutscheine für Senioren – aber um ehrlich zu sein, halte ich das für so selbstverständlich, dass ich mir seltsam vorkommen würde, das hier jetzt noch lobend zu erwähnen. Dann müssten wir uns hier jetzt auch darüber freuen, dass die Impfung kostenfrei ist. Und alle so: Yeaahh!

 

Sollten die Einschränkungen aber noch lange anhalten, müsse man »natürlich auch darüber nachdenken, ob wir an der Stelle noch mal helfen müssen«, sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel heute in der Bundespressekonferenz. Ja, klar, lassen wir uns erst noch mal in aller Ruhe darüber nachdenken, bevor man hilft – nicht, dass man sich versehentlich verhilft.

Kommentar schreiben

Kommentare: 0