Ein Montag bei den Linken

Ab und an kriecht der alte Wolf trotz seiner Schwäche nicht nur nachts durch die Wälder und tags über die Felder, sondern manchmal traut er sich gar unter Menschen. Da am Sonntag der Landtag in Sachsen-Anhalt gewählt wird und durch die Flüchtlings-Krise die sehr reale Gefahr besteht, dass die AFD einzieht, beschloss ich, mal live zu schauen, was andere Parteien jetzt in der heißen Wahlkampf-Phase dagegenhalten. Ich wäre durchaus zu einer SPD-, CDU- oder gar FDP-Veranstaltung gegangen – wenn es denn hier eine gegeben hätte. DIE LINKE dagegen bot fast jeden Tag eine an, was schon zeigt, das sie sich auf kommunaler Ebene im Wahlkampf hier auf jeden Fall Mühe gibt.

 

Für diesen Montag boten sich gleich zwei Termine, der erste stand vormittags um zehn im Zentrum von Stassfurt bei glücklicherweise trockenem, windstillem, ja sogar sonnigem Wetter unter dem Motto „Wir kochen`s hoch“. Ein Hauch von Kochshow lag über dem ganzen, von der Art der Präsentation mit Mikro und Talk während des Gemüseputzens, wurde doch ein großer Topf Kartoffelsuppe zubereitet welche später in biologisch abbaubaren, weil mit essbaren Tellern serviert wurde (so ähnlich wie Eiswaffeln) bis hin zum leider sehr spärlichem Publikum, bei welchem ich einer der Jüngsten war, was mich doch recht pessimistisch hinsichtlich der Erfolgschancen für die Wahl stimmte. Doch man soll den Tag nicht vor dem Abend tadeln, und so hörte ich mir erst mal an, was so gesagt wurde, an zwei der Kern-Aussagen kann ich mich noch gut erinnern:

a)      „Den Kaffeebecher mit links halten – alles ist im Wahlkampf ein Statement!“ (grins)

b)      „Natürlich wollen wir Ihre Stimmen, liebe Bürger; aber wir sind schon zufrieden, wenn Sie überhaupt wählen gehen und nicht für AFD oder NPD stimmen – machen sie ihre Haken, aber ohne Kreuz!“ (Gewichtig/richtige Worte wie ich finde)

An sonstigen Veranstaltungen bot DIE LINKE diese Woche an:

-am Montagabend den Gastredner Gregor Gysi (mehr dazu gleich)

-am Dienstagnachmittag Frauentagsfeier mit einem Team des „Deutschlandfunk“

-am Samstag eine Radtour mit der Friedensfahrtlegende Täve Schur, an der ich auch erst noch teilnehmen wollte, es mir aber dann doch überlegte, denn mein Drahtesel sollte nicht gleich mit so einer langen Tour unsanft aus dem Winterschlaf gerissen werden

 

Es gab neben der wirklich dann als fertig leckeren Kartoffelsuppe wie schon erwähnt Kaffee, auf zwei Tischen standen neben selbst gebackenem Kuchen und Plätzchen „Kapitalistenschweine“. Diese Bezeichnung für Sparschweine hatte ich auch noch nicht gesehen, hätte am liebsten eines mitgenommen, beschränkte mich dann aber doch auf ein Feuerzeug und den bei solchen Veranstaltungen obligatorischen Kugelschreiber (grins).

Zwei Stunden vergingen wie im Nu, was nicht nur daran lag, das ich mich endlich einmal unter Menschen bewegte, sondern auch an der Art der kurzweiligen Sprüche der Landtagskandidatin Bianca Görke und ihrer Mitköche, und so fand ich mich am Abend im Stadtsaal der Stadt Hecklingen ein.

 

So wenig Publikum am Vormittag es auch gewesen war – der Saal war gerammelt voll, und die Veranstalter waren wohl selbst überrascht, denn die Bestuhlung reichte bei weitem nicht, fast die Hälfte aller Zuhörer musste stehen (ich nicht war ich doch wohlweislich eine halbe Stunde vor Beginn der Veranstaltung gekommen).

 

Suchbild: Na wo sitze ich? (Wer mich findet hat Adleraugen werde ich doch teilweise verdeckt, Respekt dem Finder! Im Video weiter unten sieht man mich am Anfang besser)

Trotz vollem Terminkalender stattete der Politiker, der als einer der besten Redner im Bundestag bezeichnet wird, den Hecklingern einen Besuch ab (Gysi dazu selber:“Schauen Sie sich im Bundestag um – ob das dann noch so ein Kompliment ist..“). Bürger, Interessenten und Gäste aus anderen Ortschaften waren in großer Zahl in den Stadtsaal gekommen, der noch nie aus allen Nähten zu platzen drohte – aber wann kommt auch mal solche Prominenz. Als Gysi den Saal betrat erhoben sich die Gäste und applaudierten. Schließlich zollen selbst Gegner DER LINKEN Gysi Respekt, oft wird er von ihnen als „sehr guter Politiker, aber in der falschen Partei“ bezeichnet. Zu Beginn führte Parteigenossin Bianca Görke durch das Programm. Hecklingens Bürgermeister Uwe Epperlein (Wählergemeinschaft) bedankte sich zuvor bei Gysi, dass er sein Versprechen, Hecklingen zu besuchen, eingehalten hat. Auch für Epperlein bot der Anblick des überfüllten Stadtsaals ein ungewohntes Bild. „Ich würde mir wünschen, dass Sie uns auch zu den Ratssitzungen so zahlreich besuchen“, sagte er mit einem Lächeln zu den Hecklingern. Bevor der Spitzenpolitiker seine Worte an die Hecklinger richtete, gebührte ihm noch die Ehre, sich in das Goldene Buch der Stadt Hecklingen einzuschreiben.

Danach ergriff Gysi das Wort. In seiner Ansprache ging der Politiker zunächst auf die Flüchtlingskrise und die aktuelle Situation in Deutschland und den arabischen Ländern ein. „Eine Obergrenze für die Aufnahme von Flüchtlingen funktioniert so nicht“, sagte Gysi und gab zu, dabei ausnahmsweise einmal mit Bundeskanzlerin Angela Merkel einer Meinung zu sein.

 

„Angenommen die Obergrenze ist nächste Woche erreicht, aber danach bittet ein Schwuler aus Saudi Arabien in Deutschland um Asyl, weil dort die Todesstrafe darauf steht“, führte der Politiker ein Beispiel an. „Es gibt ein Grundrecht auf Asyl, also funktioniert das so nicht.“ Die Ursachen der Flucht bekämpfen, sei die bessere Lösung. Dabei ging der Politiker auf die Hintergründe für die Krise in Syrien ein.

„Obama und Putin müssen sich einigen“, sagte Gysi. Die USA wollen den Islamischen Staat (IS) vernichten, weil er das Ergebnis des Irakkrieges sei und Assad stürzen, erklärte Gysi die Interessen. Russland kämpfe gegen den IS aber sei Sympathisant des Assad-Regimes, die Türkei kämpfe gegen die Kurden und wolle, wie die Saudis Assad entmächtigen, fasste der Politiker nach seinem Verständnis die Situation zusammen. „Warum wir mit Assad nicht reden wollen, weiß ich nicht, denn mit dem König von Saudi Arabien, der auch ein Diktator ist, reden wir alle“, brachte Gysi das Problem auf den Punkt.

 

Auf die Frage, was die Flüchtlingskrise uns denn bringe, hatte der wortgewandte Politiker natürlich auch eine Antwort parat. „Seit Jahren brauchen wir mehr Lehrer und mehr sozialen Wohnungsbau, durch die Flüchtlingskrise begreifen sie es endlich“, damit sprach Gysi die Politiker im Bundestag an.

 

Neben der aktuellen politischen Situation ging der Bundestagsabgeordnete auch auf die Deutsche Einheit ein. „Die Politiker haben den Westdeutschen kein Vereinigungserlebnis gegönnt“, so Gysi. Beispielsweise habe es in den ersten drei Jahren nach der Wiedervereinigung ein unterschiedliches Strafrecht in den neuen und alten Bundesländern gegeben. In Westberlin wurde das Ausleben von Homosexualität bestraft, in Ostberlin war es erlaubt. „Sie konnten ja kein DDR-Recht übernehmen.“ Erst nach drei Jahren sei das Recht in Westdeutschland angeglichen worden. „Dann hat es ja keiner mehr gemerkt.“

 

Oft könne im Fernsehen verfolgt werden, dass Bürger mit Transparenten, auf denen steht „Wir sind das Volk“, gegen Flüchtlinge demonstrieren. „Der Spruch war damals an die nach oben gerichtet und nicht an die nach unten“, stellte Gysi klar. „Wer diesen Spruch in diesem Zusammenhang benutzt, hat die Deutsche Einheit nicht verstanden.“

 

An diesem Abend sprach der Politiker auch die rechtsextremistische Entwicklung in Deutschland und der restlichen Europäischen Union (EU) an. „Die EU ist gefährdet“, so Gysi. „Wir brauchen, aber Europa, denn dadurch wird verhindert, dass Nachbarländer Kriege führen“, so der Politiker weiter. „Um den Rechtsextremismus die Stirn zu bieten, müssen wir alle springen.“ Das bedeute CDU, SPD, die Grünen und die Linke müssen zusammenarbeiten. „Danach können wir uns ja wieder streiten“, scherzte Gysi.

 

Zum Abschluss verließ der Bundestagsabgeordnete die Hecklinger und Gäste mit einer Bitte in Bezug auf die Wahlen am Sonntag. „Gehen Sie bitte einfach hin, es sei denn, Sie wollen die NPD oder AfD wählen“, setzte Gysi ein Zeichen. „Dann gehen Sie bitte davon aus, dass die Wahl erst am Montag ist.“

 

Große Teile der Rede, die sich jeder Polit-Interessierte gönnen sollte, selbst wenn er nicht mit DER LINKEN symphatisiert, weil es klare Analysen dessen sind, was derzeit in der Welt und in Deutschland passiert, sind hier zu sehen:

 

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