Wieso wundert sich eigentlich niemand (außer Nerds wie mir), wie sehr sich doch ganz unbemerkt der Sinn von Worten im Laufe der Zeit verändern kann?
„Geil“ z.B. war noch vor Jahren ein von der feineren Gesellschaft eher verschmähtes Adjektiv, das eine unschöne, wenngleich auch nicht unbekannte sexuelle Notdurftsituation mit Erregungspotential umschreiben sollte. Heute ist es eine harmlos-knuffige Alltagsfloskel, die nicht mal mehr der Oma des Papstes eine Schamesröte auf die Wangen zaubert, und auch der Heranwachsende wartet bei ihrer Aussprache vergeblich auf eine Ohrfeige aus Mutters liebender Hand. Mit „Tschö“ verabschiedete man sich früher nur, wenn man stark lispelte und deshalb lieber auf den letzten Konsonanten verzichten wollte oder unter enormem Zeitdruck stand. Heute will man damit sagen, dass man trotz möglichen Hirnzellen-Mangels verdammt cool ist und schon mal in Köln war. Ganz ähnlich verhält es sich mit „Wellen“. Als ich noch jung war, damals im kulturellen Pleistozän, meinte dieses Wort nichts anderes als bewegtes Wasser. Etwas, das an den Strand plätscherte und wo man Kieselsteine oder alte Batterien reinwarf. Man konnte ihnen lauschen, sich dabei entspannen und zuschauen, wie sie dem Menschen eine frische Brise, Schlick oder halbverweste Seehunde an Land brachten. „Reiten“ konnte auf ihnen nur der braungebrannte Surf-Lehrer mit Genital-Goldkettchen und Drei-Tage-Brusthaar, und das auch nur, um dadurch möglichst viele Mädels für private Nachhilfestunden im heimischen Kopulationszentrum gewinnen zu können.
Eine Welle machten beizeiten auch mal ein paar tausend besoffene Schalke-Fans im Stadion oder in der Schlange bei Aldi, und mancher ließ sich beim Friseur eine Dauerselbige machen, um das Haar zu kringeln.
Heute sind Wellen in erster Linie eine unsichtbare Macht des fortschreitenden Kommunikationszeitalters, ein mysteriös körperloses Transportmedium, das uns Radioprogramme mit ewig gleicher Kaufhaus-lala in das Küchenradio beamt. Man surft auf Datenwellen durch das Internet, klinkt sich online beim Metzger ein und ruft sich die aktuellen Jagdwurstangebote ab oder grillt über CD-ROM.
Die ganze Welt ist voller Wellen; es gibt welche der Empörung, der Entrüstung, der Begeisterung, Wellen, die plätschern ebenso wie jene, die überschwappen, es gab die neue deutsche, die Welle, die abebbt, und die, die das Fass zum Überlaufen bringt, und in der Bibel steht: „Deine Welle geschehe!“. Sogar die Luft ist voller Wellen, aber keiner sieht sie und keiner fühlt sie, jedenfalls nicht bewusst. Wer weiß aber, ob nicht gerade eine Ätherwelle mit der neusten GZSZ-Folge durch meine Unterhose schwappt. Kein Wunder, wenn dann die Blase drückt.
Und wer ahnt schon, wie viel Handy-Benutzer mit ihrem tragbaren „Zur Zeit kein Netzaufbau möglich“-Display direkt durch meinen Kopf hindurch mit ihrer ExFrau die Anwaltstermine absprechen.
Ganz ehrlich – das ist keine schöne Vorstellung.
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Wolzow´s Täubchen (Dienstag, 30 Oktober 2012 13:53)
Ich liebe Deine Form von Sprache. Und auch bei uns war am Anfang das Wort, das geschriebene Wort. Die vielen Briefe zwischen uns, unendlich viele Gesprächsthemen um doch zum Schluß beim Thema Liebe zu landen. Bin ich froh, dass es diese Form von Wellen gibt, sonst hätten wir uns nie kennengelernt.