Nachdem der allseits bekannte Autor Stephen King sich mit seinem Roman "Carrie" und der zugehörigen Verfilmung einen Namen gemacht hatte, wollte er sich und anderen beweisen, dass sich seine
Bücher auch ohne den berühmten Autorennamen verkaufen würden. Aus diesem Grund veröffentlichte er zwischen 1979 und 1984 fünf Bücher unter dem Pseudonym "Richard Bachman". Durch einen Zufall flog
diese Tarnung jedoch auf, sodass die Bachman-Bücher heutzutage meist unter dem Namen King verkauft werden.
Marsch in den Tod
Zu Beginn fährt Hauptfigur Ray Garraty in Begleitung seiner Mutter zum Großereignis des "Marsches", bei dem Ray einer der Teilnehmer sein wird. Seine Mutter versucht noch verzweifelt, ihn in
letzter Minute von diesem Todesmarsch fernzuhalten, doch Ray hat sich bereits zum Mitlaufen entschieden.
Insgesamt 100 Jungen unter 18 Jahren starten an diesem Morgen um 9 Uhr beim Todesmarsch, der von zahlreichen Soldaten begleitet wird, die peinlich genau die Laufgeschwindigkeit der Jungen messen
werden. Denn sobald jemand unter eine Geschwindigkeit von vier Meilen pro Stunde fallen sollte, wird der Läufer verwarnt. Insgesamt drei Verwarnungen sind erlaubt, anstelle der vierten Verwarnung
wartet die unangekündigte Exekution auf den jeweiligen Teilnehmer. Doch von bloßem Erschießen kann hierbei keine Rede sein, denn sollte jemand sich dabei gegen die Soldaten auflehnen, wird er
regelrecht hingerichtet.
Ausgesprochene Verwarnungen können wieder abgearbeitet werden, wenn man eine Stunde lang ohne Verwarnung bleibt. Pausen gibt es keine, es wird so lange weitermarschiert, bis nur noch ein Junge
übrig ist. Auf den Sieger des Marsches warten Geld, Ruhm und ein Preis, den der Junge sich selbst aussuchen kann. Doch muss der Sieger erst 99 andere Jungs überleben ...
Vor Beginn des Marsches werden nochmals alle Namen der Teilnehmer aufgerufen und jeder bekommt eine Startnummer. Anschließend werden Verpflegungsgürtel mit Tuben voll Lebensmittelextrakten
verteilt, die jeden Morgen um 9 Uhr ausgetauscht werden. Wasser bekommen die Jungs so viel sie wollen, sie müssen allerdings selbst darum bitten. Jedoch sind manche Jungen irgendwann körperlich
und auch geistig so am Ende, dass sie es nicht mehr schaffen werden, selbst ihr Wasser zu erbitten.
Pünktlich um 9 Uhr beginnt der Marsch. Zunächst ist es nicht viel mehr als eine bloße Wanderung, doch spätestens nach den ersten erteilten Verwarnungen und dem Tod des ersten Jungen wird den
anderen klar, worauf sie sich dabei eingelassen haben. Langsam wird auch Ray Garraty bewusst, dass wirklich Menschen erschossen werden, in seiner Phantasie hatte er sich vorgestellt, dass statt
echter Kugeln aus den Gewehren der Soldaten nur ein lautes "Plopp" erklingen würde, doch weit gefehlt! Es gibt keine Gnade, da stirbt ein Junge, weil er wegen eines Wadenkrampfes zu langsam wird,
ein anderer bekommt schon am ersten Tag Blasen, der nächste Junge leidet an Durchfall. All diese Schicksale führen zum sicheren Tod.
Ray Garraty ist das Zentrum der Geschichte, um ihn dreht sich das gesamte Buch und der Leser ist dabei, wie Ray seine Kameraden besser kennen lernt und sogar Freundschaften schließt. Aber nach
und nach wird die Gruppe seiner Freunde immer kleiner, denn am Schluss kann nur einer überleben ...
Nur eine makabre Geschichte?
Bachman/King versteht es geschickt, seine Leser von der ersten Seite an in seinen Bann zu ziehen. Er beschreibt den Marsch und seine Teilnehmer mit einer solchen Intensität, dass man gefesselt
ist von der Geschichte und das Buch nicht mehr aus der Hand legen kann, sobald man die ersten Seiten gelesen hat. Im Mittelpunkt steht ganz klar Ray Garraty, der zur Identifikationsfigur und zum
Sympathieträger schlechthin wird. Man wünscht ihm den Sieg und hofft für ihn, dass er seine Freundin Jan in Portland an der Straße sehen wird. Während des Marsches schließt Ray Freundschaften zu
anderen Teilnehmern, obwohl diese doch keine Zukunft haben. Die Charakterzeichnungen im Buch sind besonders hervorzuheben, da die marschierenden Jungen mit ihren ganz eigenen Lebensschicksalen
die Geschichte beleben. Im Laufe des Marsches erfährt man von vielen Jungen einen Teil ihrer Lebensgeschichte und auch ihre Gründe für die Teilnahme an dem Todesmarsch. Es wird dabei
offensichtlich, dass den meisten nicht klar war, worauf sie sich überhaupt einlassen, denn sie hatten nicht realisiert, dass der Marsch den fast sicheren Tod für sie bedeuten würde.
Ein interessanter Punkt sind hierbei die aufkeimenden Freundschaften zwischen den Teilnehmern, die auf der einen Seite notwendig erscheinen, um den Marsch zu überstehen, um Ablenkung durch die
Gespräche zu erhalten und auch Aufmunterungen, wenn ein Teilnehmer einen Einbruch erleidet, die aber auf der anderen Seite von vornherein ohne Zukunft sind, da den Marsch nur einer überleben
kann. An einer Stelle rettet Ray seinem besten Freund das Leben, indem er diesen zum Weitermarschieren zwingt, später hilft auch dieser Ray in mehreren Situationen weiter, obwohl beide damit ihre
eigenen Siegchancen verringern. Denn je schneller alle anderen tot sind, desto schneller kann man selbst gewinnen - ein faszinierendes menschliches Phänomen.
Die von Anfang an aussichtslose Situation treibt die Teilnehmer zu unmenschlichen Leistungen an, über Tage hinweg marschieren sie pausenlos weiter, getrieben durch ihre eigene Angst. Die Jungen
erleiden schier unglaubliche Qualen und überleben nur, indem sie sich auf völlig andere Dinge konzentrieren. So erhält Ray Garraty der Gedanke an seine Freundin Jan aufrecht, die in Portland auf
ihn warten wird. Ihr Wiedersehen kostet ihn dann schließlich fast sogar sein Leben. Ein anderer Teilnehmer hat zu Hause eine schwangere Frau, für die er überleben möchte, doch wird auf derlei
persönliche Hintergründe natürlich keine Rücksicht genommen.
King schreibt so ergreifend, dass man sich in die Jungen hineinversetzen und ihre Qualen miterleben kann und muss. Wir sind hautnah dabei und Teil der Geschichte, begleiten Ray durch Maine auf
seinem Todesmarsch. In diesem Buch konzentriert sich King auf einen nicht ganz alltäglichen Horror, der von den Soldaten ausgeübt wird. Im Mittelpunkt stehen menschliche Schicksale von Jungen,
die sämtlich noch nicht volljährig sind und eigentlich noch ihr ganzes Leben vor sich hätten. Doch die Aussicht auf Reichtum und Ruhm treibt sie zu diesem todbringenden Marsch. Der Autor zeichnet
eine erschreckende Zukunftsvision von einer Welt, in der Zuschauer am Rande der Straße stehen und mit fiebrigen Augen auf eine Hinrichtung warten. Der Marsch ist ein riesiges Publikumsereignis,
das natürlich auch im Fernsehen übertragen wird und zu dem unzählige Menschen strömen, nur in der Erwartung, einem Jungen beim Sterben zusehen zu können. Verliert ein Junge seine Schuhe, so kann
er sicher sein, dass diese nicht lange auf der Straße liegen bleiben, denn sie werden schnell als Souvenir eingesammelt. Selbst die verrichtete Notdurft wird von den Zuschauern aufgelesen.
Obwohl nichts weiter als der Marsch beschrieben wird, zählt "Todesmarsch" zu den spannendsten und mitreißendsten Büchern, die ich je gelesen habe. Die Faszination liegt in der intensiven
Charakterbeschreibung der Teilnehmer, die einem dadurch ans Herz wachsen. Zahlreiche Fragen werden aufgeworfen, die zum Nachdenken anregen: Was bringt die Jungs dazu, an diesem Marsch
teilzunehmen? Was sind das für Menschen, die eine solche Aktion zulassen und dabei auch noch sensationslüstern zuschauen? Was sind das für Menschen, die die Jungs eiskalt hinrichten, nur weil
diese am Rande ihrer Erschöpfung zusammenbrechen? Das sind nur einige Fragen, die während des Buches auftauchen und die man sich als Leser stellen wird. "Bachman" setzt nicht auf den Horror des
frühen Stephen King, sondern auf "Psychospiele" und die detaillierte Beschreibung der Hauptcharaktere; eine Disziplin, die er emisterhaft beherrscht und mit der seine Roman aus der
Trivialliteratur heraus ragen. Ihre persönlichen Ängste, Nöte und ihre Gedanken stehen dabei im Vordergrund. Das macht "Todesmarsch" zu einem einmaligen Leseerlebnis!
PS:Und natürlich wurde auch dieses Buch mir zur Verfügung gestellt von SABRAEL........
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