Das Kreuz ist, wahrscheinlich in Zusammenhang mit seiner Einfachheit, eines der ältesten Symbole der Menschheit. Es war, wie man aus archäologischen Funden weiß, schon in der Frühzeit der
Menschheit ein Schmuck- und Kultgegenstand. Erste bekannte Darstellungen finden sich bis zu 10.000 Jahren vor unserer Zeitrechnung. Es ist also eindeutig nichtchristlichen Ursprungs.
Die ursprüngliche Darstellung des Kreuzes besteht aus zwei gleich langen Linien, die sich im rechten Winkel kreuzen – was sonst. Tatsächlich steht genau diese Kreuzung für die Verbindung von
Extremen und Widersprüchen. Im klassischen, auch nichtchristlichen Sinne repräsentiert es die Verbindung von Himmel und Göttlichem (senkrechte Linie) mit der Erde und dem Menschen (waagerechte
Linie). Manche sehen in der vertikalen Linie ein Symbol der männlichen und in der horizontalen Linie der weiblichen Aspekte. Die Verbindung des Männlichen und Weiblichen im Kreuz findet sich auch
bei den alten Kelten, die das Kreuz als männliches Symbol mit dem Kreis als Sinnbild für das Weibliche verbunden darstellen, was man auch als Darstellung der »Heiligen Hochzeit« bezeichnet, als
Zeichen sexueller Vereinigung.
Überspitzt gesagt, »heilt« das Kreuz Widersprüche. Diese Symbolik lässt sich weiterentwickeln und zumindest bei der Darstellung mit gleich langen Linien steht das Kreuz für Maßhalten und
Ausgeglichenheit.
Lenkt man die Aufmerksamkeit mehr auf die Enden der Linien, erscheinen sie als Strahlen. Anhänger der Zahlensymbolik erkennen die Vier, im Gegensatz zu den eben genannten dualistisch orientierten
Bedeutungen. In Zusammenhang mit der Zahl Vier, steht das Kreuz für auch für die vier Elemente oder die vier Jahreszeiten und in Zusammenhang mit den Linien als Strahlen, wurde das Kreuz auch als
Symbol für die Sonne oder die Himmelsrichtungen benutzt. Die Babylonier stellten das Kreuz manchmal auch zusammen mit der Sonnenscheibe dar und verwendeten es als Glückssymbol. Die strahlende,
ausbreitende Perspektive deutet, parallel zu der oben erwähnten Bedeutung für sexuelle Vereinigung, auch auf die Verwendung des Kreuzes als Symbol für Fruchtbarkeit hin. Man spekuliert, dass dies
auch der Grund dafür war und ist, Kreuze an Feldrändern aufzustellen.
Hier knüpft die Variation des Kreuzes in der Form des ägyptischen »Ankh« an, das für die Urkraft und das Leben steht. Das Wort Ankh verweist ebenso auf diese Bedeutung, denn es stammt von der
Hieroglyphe Anch und diese bedeutet Leben bzw. »Ich lebe«. Und auch beim Ankh findet sich die Vereinigung des Weiblichen (in der runden, oberen Hälfte) und des Männlichen (im eckigen, unteren
Part). Übrigens kannten auch die frühen Christen das Ankh und nutzten es als Schutzsymbol unter dem Namen Kreuz Ansata.
Im alten Indien fand man die Verwendung des Kreuz-Motivs als religiöses Symbol, das zum Beispiel auf frühen Gemälden des Gottes Krischna an dreien von seinen sechs Armen zu sehen ist. Und in
Mittel- und Südamerika fand das Kreuz schon vor der Christianisierung im religiösen Kontext Verwendung. Auch in vielen anderen Regionen wurde das Kreuz seit uralten Zeiten als Symbol mit
magischer Kraft verehrt und hatte die Funktion des Lebens-, Schutz- und Heilszeichens.
Grundlegend für die Vereinnahmung des Kreuzes als christliches Symbol, war natürlich die Kreuzigung von Jesus Christus. Ursprünglich stammte diese Hinrichtungsart aus dem Orient und galt, im
alten Rom genauso wie auch in Japan, als besonders entehrend für den Verurteilten. Daneben weist die Vokabel Kreuz, die vom lateinischen Crux (für »Marterholz«) und dem dazugehörigen Verb
cruciare (»quälen«) abstammt, auf die Bedeutung als Folter- und Exekutionswerkzeug. Und auch die Kirche sieht das Kreuz als Sinnbild für die Qualen Christi an.
Tatsächlich war aber das Kreuz zu Beginn der christlichen Geschichte ein heidnisches Symbol, das von den Frühchristen sogar abgelehnt wurde. Das Wort Kreuz taucht auch in der Bibel nie auf.
Stattdessen findet sich dort das griechische Wort stauros (»Pfahl«) oder xyklon (»Holz, Baum, Balken«). Zu einem christlichen Symbol wurde das Kreuz erst im 4. Jahrhundert, nachdem der römische
Feldherr Konstantin bei der Vorbereitung einer Schlacht um himmlische Unterstützung bat und ihm ein strahlendes Kreuz am Himmel erschien. Es wurde zum Zeichen seiner Kriegsfahne und er blieb
siegreich. Durch dieses Erlebnis wurde die christliche Religion vom Römischen Reich anerkannt und das Kreuz zu ihrem Symbol. Auch später noch benutzte man das Kreuz, um kriegerischen Aktionen den
Anschein des Gerechten zu geben. Bestes Beispiel hierfür die Kreuzritter und deren Kreuzzüge.
Im christlichen Sinne ist das Kreuz aber nicht nur verknüpft mit dem Grauen von Hinrichtung und Krieg, sondern gerade durch die Kreuzigung Symbol für die Opferung Christi zugunsten der »Heilung«
des paradiesischen Sündenfalls. Hier verbindet sich das hölzerne Kreuz mit dem Lebensbaum im Paradiesgarten; die Kirche vertrat sogar die märchenhafte Meinung, dass das Kreuz, an dem Jesus starb
aus dem Holz eben dieses Baumes geschnitzt war.
Heute steht das Kreuz natürlich nicht nur für Jesu Tod und ist in westlichen Kulturen als Grabzeichen und Symbol für den Tod im Allgemeinen etabliert. Es markiert den Scheideweg, die Kreuzung
zwischen menschlichem Leben und dem, was immer danach kommen mag.
So simpel das Kreuzmotiv an sich ist, so unterschiedliche Varianten in Darstellung und Bedeutung trägt es in sich. So wie es seine Berechtigung als Symbol für den Leidensweg und Tod Jesu hat, hat
es sie auch als Symbol für das Leben.
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